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Gänse marschieren am Heim für gefallene Mädchen

Gänse marschieren am Heim für gefallene Mädchen
Tulpen- und Hafenfest, die Flottenparade, dazu der Christopher Street Day: Zehntausende besuchten am Wochenende die Innenstadt

In Potsdams Innenstadt herrscht am Wochenende großes Gewimmel. 35.000 Gäste beim Tulpenfest, die Schiffe der Weissen Flotte bei der Flottenparade am Sonntag bis auf einige Restplätze ausverkauft, daneben Schunkeln bein Shanty-Gesang im Hafenbecken an der Langen Brücke. Dazu erkundeten zahllose Radfahrer- und Wandergruppen die Stadt un ließen sich die Sehenswürdigkeiten erklären. Und auch die Geschäfte hatten Samstag und Sonntag geöffnet, sodass auch ein Einkaufsbummel lohnte. Doch nicht nur heitere Themen wurden an den zwei Tagen besprochen.

HAFENFEST & FLOTTENPARADE
Beim Hafenfest an der Langen Brücke zeigte sich am Sonntag allerdings nicht nur der Himmel bewölkt. Auch die Aussichten für die Weisse Flotte waren zuletzt eher schlecht. Weisse-Flotten-Chef Jörg Winkler versuchte jedoch die Diskussion um den mit der Hasso-Plattner-Offerte einer Kunsthalle verbundenen Abriss des Hotel-Hochhauses und damit die um den Standort der Weissen Flotte am Fuße des Mercure herunterzuspielen. „Mit uns hat noch niemand gesprochen“, sagte er. „Wir setzen unsere Arbeit fort und warten darauf, dass die Baugenehmigung für den Anbau endlich erteilt wird.“ Wie berichtet will die Weisse Flotte ihr Hafengebäude mit einem gläsernen Restaurantanbau versehen, als Ersatz für das Palmenzelt. Die Planungen dafür reichen bereits sechs Jahre zurück, nach jahrelangem Streit hatte es 2011 einen Architektenwettbewerb für das Gebäude gegeben. Bereits im September vergangenen Jahres sei der Bauantrag eingereicht worden, erklärte Winkler. Warum der bisher noch nicht beschieden worden sei, könne nur die Stadtverwaltung beantworten. 

Die Stadtverordneten hätten den Anbauwünschen bereits zugestimmt. Die beiden Weisse-Flotte-Geschäftsführer Winkler und Jan Lehmann sehen auch beim Bau einer Kunsthalle keine Alternative zum jetzigen Standort. „Wir brauchen das Hafenbecken und den Liegeplatz an der Kaimauer für zwei bis drei Schiffe“, sagte Winkler. Man habe einen Pachtvertrag für das Gelände bis 2024 und sehe der Zukunft gelassen entgegen, so Winkler. Er sei der Meinung, dass sich auch Kunsthalle und Weisse-Flotten-Standort samt Gastronomie gut vertragen würden. Mit den beiden Geschäftsführern warten auch die Palmen, die wegen des kalten Frühjahrs noch immer ihre Schutzhauben tragen, auf ihr neues Zuhause, das sie im Anbau bekommen sollen.

Die Weisse Flotte beschäftigt zur Saison 120 bis 130 Leute vom Kapitän bis zum Kellner. 265 000 Fahrgäste machten sich im vergangenen Jahr mit den Schiffen auf den Weg. Im Friedrich-Jahr wird sogar noch mit einem Zuwachs gerechnet und die 300 000-Gäste-Grenze anvisiert. Bei der Flottenparade am Sonntag hatten sich wieder alle acht Schiffe auf Tour begeben. Der Wasserstand gestattete eine glatte Durchfahrt durch die Brücken, lediglich die „Gustav“ musste ihren Schornstein vor der Langen Brücke umlegen. dif

TULPENFEST
Die Niederländer kommen gern, viele sind schon seit Jahren beim Tulpenfest im Holländischen Viertel dabei. Marc Picar mit seinen 15 marschierfreudigen Gänsen war allerdings eine Novität des 17. Tulpenfestes am Wochenende. Dass einen die Gänse beißen, war nicht zu befürchten. Die gutgenährten Toulouser hatten genug zu tun, sich watschelnd durch die Zuschauer zu schlängeln und ihrem mit Schlaginstrumenten den Takt angebenden Gänsevater zu folgen. Wie Picar erzählte, werden die Küken bereits kurz nach dem Schlüpfen an den Menschen gewöhnt und ihre Marscheignung getestet. Nach acht Monaten sind sie einsatzreif, manche blieben dann sehr lange bei der Truppe. Die älteste Marschierer-Gans sei 13 Jahre alt.

Die 72-jährige Leni Klink kam schon zum achten Mal zum Tulpenfest: Sie hält die Tradition hoch und zeigt, wie Trachtenhauben gefertigt werden. Leider sei das auch in Holland ein aussterbendes Handwerk. Um so wichtiger, dass es von der Kunsthandwerk-Gruppe „Salland“ am Leben gehalten wird. Sie brachte wie die Jahre zuvor viele Handwerker und deren alte Techniken vom Korbflechten bis zum Backen von Knieperties – eine holländische Waffel – auf dem Holzkohlenfeuer mit. Die Meisjes Anna und Miriam verteilten Tulpen, gaben sie aber nur ab, wenn man „Tulpen aus Amsterdam“ singen konnte. Insgesamt 190 Niederländer seien bei der Gestaltung des Festes diesmal mit dabei gewesen, sagte der Organisator des Festes Hans Göbel.

Bei Anke Klöpper gingen die Plüschteddys weg, als würde sie warme Semmeln verkaufen. Die Klöppers kommen aus Ilsede bei Braunschweig, sind das fünfte Mal dabei und Frau Anke beginnt schon im Januar mit der Teddyproduktion, damit sie genug für Potsdam einpacken kann. Und überall wurde Musik gemacht, gescherzt und gelacht. Dieses Fest ist etwas Besonderes, erklärte ein Berliner, der es neu für sich entdeckt hatte. Eine Teltower Truppe kommt schon seit Jahren, und ein Lüneburger Ehepaar konnte vom bunten Treiben gar nicht genug bekommen. Der gute Ruf des Tulpenfestes zieht offensichtlich immer weitere Kreise, sodass sich schon mehrere Reisebüros einklinkten, wie es hieß.Eine besondere Veranstaltung im Rahmen des Tulpenfests fand schon am Samstag an der Behlertstraße 1 statt. Dort durfte Sozialbeigeordnete Elona Müller-Preinesberger (parteilos) stellvertretend für den Oberbürgermeister die Regenbogenfahne lüften und ein Schild enthüllen, dass das Haus  nunmehr als Louise-Henrietten-Stift ausweist.

Der Untertitel „Heim für gefallene Mädchen“ dürfte allerdings nicht ganz ernst gemeint sein, denn der Käufer der Immobilie, Ralph Zachrau, hat sich in Mühen und Unkosten gestürzt, um es als soziokulturelles Zentrum und als Sitz des schwulen-lesbischen Spitzenverbandes „Bündnis faires Brandenburg“ zu erhalten. Das Haus war mit Fördermitteln saniert worden und hatte als Ausweichquartier für Hausbesetzer gedient. Die haben nun anderweitig Unterschlupf gefunden. Seit Jahren befindet sich jedoch das La Leander als Schwulenkneipe im Haus, auch Beratungsangebote für Schwule und Lesben gibt es dort. In guter Zusammenarbeit mit der Stadt, das betonte Zachrau, seien sechs Zimmer als Wohngemeinschaft zu sozialverträglichen Mieten vermietet worden.

Nach Auslaufen der Sanierungs-Bindung für das Holländische Viertel hatte sich die Stadt in der Pflicht gesehen, das Haus zu verkaufen, wollte aber das Schwulen-Lesben-Zentrum und die Gaststätte La Leander gern erhalten. Nach anfänglich vergeblichen Versuchen, einen Käufer zu finden, der das alles unter einen Hut bringt, entschloss sich Zachrau zum Kauf. Am Samstag erklärte er als Bühnenfigur Ginnifer Hartz verkleidet, er habe es mit dem Geld für 4,8 Millionen Pfandflaschen bezahlt. In den Annahmestellen der Umgebung dürfe er sich nun allerdings nicht mehr sehen lassen. In dem Haus habe schon zu Friedrichs Zeiten ein schwuler Samtmacher gewohnt, sagte er und schmunzelte dabei – diese Tradition habe er erhalten wollen. dif

CHRISTOPHER STREET DAY
Ohnehin waren sie an diesem Wochenende unübersehbar, die Aktivisten des Christopher Streets Days in Potsdam, die ihre schrill-bunten Tage noch bis zum 29. April feiern. So zum Beispiel auch am Sonntag, kurz vor 12 Uhr, an der Französischen Kirche am Bassinplatz. Schwester Dominique stand draußen vor den Kirchenstufen. Die Ordensschwester war ein echter Hingucker: Komplett weiß war sie im Gesicht. So kräftig geschminkt stand sie da in ihrem türkisfarbenen Kleid. Kein Kloster-Outfit. Ein großer Schmetterling zierte die Haube auf ihrem Kopf. Dominique begrüßte einige Gäste, die zum Gottesdienst in die Kirche gehen. Es ist ein besonderer: Lesben und Schwule wollen gemeinsam mit Heterosexuellen einen toleranten Gottesdienst feiern. 30 bis 40 Leute kamen.

Im Innern der Kirche versammelte sich die Gemeinde. Viele kamen aus Berlin, einige aus Potsdam. Zum fünften Mal fand ein solcher Gottesdienst im Rahmen des Christopher Street Days in Potsdam statt. Zum ersten Mal an diesem Ort, an dem einst die wegen ihres Glaubens verfolgten Hugenotten eine neue Heimstatt fanden.

Dominique vom Orden der Perpetuellen Indulgenz – ein Verein, der sich um die Belange von homosexuellen Menschen kümmert – war unter den in der Kirche Versammelten die auffälligste Erscheinung. Die meisten der Anwesenden waren gekleidet wie die Besucher anderer Gottesdienste auch. Richtig bunt war allein noch die Regenbogenfahne, die an der Kanzel hing. „Wo die Güte und die Liebe sind, da bist du, Gott“, zeigte sich Franziskanerpater Clemens Wagner im Gottesdienst überzeugt. „Kann denn Liebe Sünde sein?“ trug ein Sänger vor. Und natürlich gab er sich in dem Evergreen selbst die erwartete Antwort: „Liebe kann nicht Sünde sein.“

„Ich finde, das passt zu Potsdam als Stadt der Toleranz ganz gut“, sagte Organisator Dirk Braitschink über den Gottesdienst, der jedes Jahr zum Tulpenfest stattfinde. Man wolle dem Fest mit seinen bunten Tulpen auf diese Weise einen eigenen Farbtupfer hinzufügen. Hildegard Rugenstein, Pastorin der in der Kirche ansässigen Französisch-Reformierten Gemeinde ermutigte die Besucher am Schluss des Gottesdienstes, indem sie ihnen zurief: „Weiter so!“

Und tatsächlich werden Potsdams Schwulen und Lesben das Stadtleben in dieser Woche weiter auf ihre Art prägen. So soll heute um 17 Uhr im Stadthaus im Büroflur des Oberbürgermeisters die Ausstellung „Walk With Pride“ des international ausgezeichneten Fotografen Charles Meacham eröffnet werden. Und ein „Straßenfest für die Vielfalt“ findet am kommenden Samstag ab 10 Uhr vor dem Brandenburger Tor statt. HC/ HK

Quelle: PNN 23.04.2012