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Eberhard Zastrau: Nachdenken über ein Denkmal

»Die Ermordeten sollen nicht noch um das einzige betrogen werden, was unsere Ohnmacht ihnen schenken kann, das Gedächtnis.« Dieses Zitat Theodor W. Adornos ziert den Aufruf, mit dem der LSVD und die Initiative für ein Bundesdenkmal zur Erinnerung an die verfolgten Homosexuellen der NS-Zeit mobilisiert haben. 15 Monate nach der Entscheidung des Preisgerichts über einen zur Realisierung vorgeschlagenen Entwurf für das Denkmal zeichnet sich ab, dass der Text des Bauschilds für das geplante Denkmal eigentlich lauten müsste:»Hier verhöhnt die Bundesrepublik Deutschland die Verfolgten des Nationalsozialismus.«Wie konnte das geschehen?

Wie  gedenkt man den im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen?

Am Anfang stand ein Artikel Joachim Müllers. Seit Jahren hatte er bereits das Schicksal der homosexuellen NS-Verfolgten erforscht, als er im Juni 1992 seinen Beitrag über das Oranienburger KZ-Außenlager Klinkerwerk veröffentlichte. In dem Beitrag regte er an, analog zur Initiative von Lea Rosh und Eberhard Jäckel in Berlin ein Denkmal für die homosexuellen NS-Verfolgten zu fordern. Rund um den CSD 1992 entstand die „Initiative Der schwulen NS-Opfer gedenken“.

Die Initiative führte unter der Leitung von Albert Eckert anschließend ein kurvenreiches Leben, firmierte zeitweilig als „Initiative Schwulendenkmal“ – so zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ihrer Denkschrift 1995. Als „Initiative Homo-Monument“ veranstaltete sie 1996 einen Kongress. In dessen Vorfeld lehnten verschiedene Lesbengruppen die von Albert Eckert sehnlichst erstrebte Zusammenarbeit ab. Die Initiative hielt jedoch – nur ideologisch erklärbar – an der Fiktion eines schwul-lesbischen Gemeinschaftsprojekts fest. Diese Fiktion wurde auch für den Kongress aufrecht erhalten. In den Jahren zuvor hatten Forschungsergebnisse allerdings belegt, dass die vor allem von „Ina Kuckuc” (Ilse Kokula) einst nahegelegten Vermutungen einer verdeckten Verfolgung von Lesben durch die Nazis sich nicht bestätigen ließen. So geriet der Kongress in eine wissenschaftliche Schieflage. Joachim Müller sagte seine Teilnahme am Kongress mit einem offenen Brief ab, der international Gehör fand.

Nach längerer Pause begann das zweite Leben des Projekts als Gemeinschaftsinitiative mit dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland. 2001 verfassten die gemeinsamen Initiatoren einen Aufruf, der das Adorno-Zitat als schmückenden Zierat enthält und von zahlreichen Prominenten unterstützt wurde. Die Chronik, die diesem Aufruf beigegeben wurde, dokumentiert - historisch korrekt - die Verfolgung homosexueller Männer. Der einzige Hinweis auf die Situation von Lesben in der NS-Zeit findet sich im Satz „Schwulen- und Lesbenlokale werden geschlossen" (unter dem Datum 23. Februar 1933).

In dieser labilen Balance zwischen ideologischer Fiktion und historischer Wahrheit entwickelte sich die Denkmal-Initiative bis hin zu dem Beschluss des Deutschen Bundestags vom 12. Dezember 2003, ein

»Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen« zu errichten. »Mit diesem Gedenkort wollen wir
  • die verfolgten und ermordeten Opfer ehren,
  • die Erinnerung an das Unrecht wach halten und
  • ein beständiges Zeichen gegen Intoleranz, Feindseligkeit und Ausgrenzung gegenüber Schwulen und Lesben setzen.«

Der Wortlaut des Bundestagsbeschlusses fordert keine „Sichtbarkeit von Lesben" im Denkmal. Er fordert jedoch die Ehrung der Verfolgten und die Erinnerung an das Unrecht. Zur Realisierung des Denkmals wurde ein Kunstwettbewerb ausgelobt. Das Preisgericht wählte am 26. Januar 2006 für die Realisierungsempfehlung den Entwurf der Künstler Michael Elmgreen und Ingar Dragset aus. Die äußere Form des Entwurfs orientiert sich an dem gegenüber liegenden Denkmal für die ermordeten Juden. Die einzelne – und vergrößerte – Stele bekommt allerdings ein Innenleben: Durch ein kleines Fenster kann man eine Videoprojektion betrachten, die in einer Endlosschleife zwei sich küssende Männer zeigt.

Preisgerichtsvorsitzender Prof. Radermacher lobt den Entwurf, da er ohne verbale Hilfestellung das Thema des Denkmals direkt und doch subtil hervorhebt. Der gezeigte Kuss zwischen Männern ist zugleich geeignet, den entscheidenden Schritt zur Verschärfung des Strafrechts durch die Nazis (1935) zu symbolisieren: Die Änderung des § 175 RStGB hob das Erfordernis eines Nachweises „beischlafähnlicher“ Handlungen auf und dehnte die Strafdrohung nahezu uferlos aus.

Ab Mai 2006 erfolgte die Mobilmachung von Lesben gegen den Entwurf. „Mal wieder die Frauen vergessen“ polterte im August das Sturmgeschütz der Frauenbewegung, Alice Schwarzers Magazin „Emma“. Unterschriften wurden gesammelt, dabei auch manch eine(r) gegen den eigenen Willen vereinnahmt. Schade nur, dass es nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen schon der neunziger Jahre nichts gab, was diesen Vorwurf aus dem Hause „Emma“ gerechtfertigt hätte.

Im November 2006 präsentierte „Emma" in einer Vorabveröffentlichung im Internet einen Artikel, der „Die Verfolgung der Lesben im Dritten Reich" belegen sollte - in der gedruckten Ausgabe im Januar war der Titel geändert: „Lesben unterm Hakenkreuz - Zeit der Maskierung". Da finden sich grundsätzliche Aussagen, die vor allem beklagen, dass das Perfide der NS-Verfolgung gerade das Fehlen nachweisbarer Verfolgung von lesbischen Frauen sei (etwa durch das Strafrecht). So seien die lesbischen Frauen in die Unsichtbarkeit gedrängt worden.

Doch es gibt auch konkrete Aussagen: Verwiesen wird etwa auf die Erinnerung einer Ravensbrück-Überlebenden an eine Kennzeichentafel, die für lesbische Gefangene einen rosa Winkel mit der Zusatzkennung „LL" vorgesehen habe (Claudia Schoppmann dazu: nicht nachgewiesen, womöglich ein Erinnerungsfehler). Mit einer beeindruckenden Zahl von Einzelschicksalen soll eine Verfolgung (Gefängnis oder Konzentrationslager) aufgrund des Lesbischseins dargelegt werden. „Den Berliner Forscherinnen Claudia Schoppmann und Ilse Kokula gebührt das Verdienst, sich auf die Spuren der Verfolgten begeben [...] zu haben." Die Spurensuche Claudia Schoppmanns ergab jedoch bei allen von „Emma" aufgeführten Schicksalen, dass die nachweisbaren Verfolgungsgründe politischer Art waren oder sich aus der jüdischen Herkunft der Frauen ergeben haben - wahrlich kein Anlass, eine Verfolgung aufgrund des Lesbischseins zu unterstellen, und schon gar nicht eine Lesben-Verfolgung als „Asoziale".

Die entfachte politische Kontroverse um eine „Repräsentanz" der Lesben im Denkmal zeigte Folgen: Gemeinsam mit dem Lesbenring traten LSVD-Bundesverband und Denkmal-Initiative nun für einen turnusmäßigen Video-Wechsel alle zwei Jahre ein, damit auch immer mal wieder ein Frauenkuss gezeigt werden könne. Dabei begründeten die Initiatoren das mit dem dritten Teilziel des Bundestagsbeschlusses.

Dagegen wandte sich der Arbeitskreis I der Berlin-Brandenburgischen Gedenkstätten (NS-Verfolgung):

»In dieser Debatte rückt das Andenken an die homosexuellen Opfer der NS-Verfolgung offenbar immer mehr in den Hintergrund. Im Gegenzug wird vor allem die Bedeutung des Denkmals für gegenwärtige und zukünftige politische Zwecke betont.«

Der Arbeitskreis, dem alle Gedenkstätten der beiden Bundesländer und zahlreiche Opferverbände und Interessengruppen angehören, nennt das eine Fehlentwicklung. Bereits am 30. Oktober 2006 hatte der LSVD-Landesverband Berlin-Brandenburg auf einer Mitgliederversammlung eine Resolution verabschiedet, in der die Verwirklichung des vom Preisgericht ausgewählten Denkmalentwurfs gefordert wird. Das Denkmal soll den historischen Gegebenheiten gerecht werden. Dem im Internet veröffentlichten Aufruf, sich dieser Resolution anzuschließen, folgen vor allem auch Unterzeichner, die sich gezielt mit der Erforschung und Darstellung der Verfolgungsgeschichte der Homosexuellen beschäftigt haben.

Die vom LSVD-Bundesverband und DenkmalInitiative propagierte Präsentation eines Frauenkusses im Denkmal würde jedoch von den Bürgern als irreführende historische Aussage verstanden - und die Verfolgten des Nationalsozialismus verhöhnen.

Autor: Eberhard Zastrau
Foto: Gaybrandenburg

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