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 Das Deutsche Kaiserreich von 1871 bis 1918 und Einführung des § 175

Am 01.01.1872 trat im neugegründeten Deutschen Reich ein neues Reichsstrafgesetzbuch in Kraft. Die männliche Homosexualität war mit dem Paragraphen 175 wieder im ganzen Reich strafbar, auch in den Bundesstaaten (Bayern) wo Homosexualität straffrei war.

 
Der Paragraph 175 in der Fassung von 1872
 
Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Thieren begangen wird, ist mit Gefängniß zu bestrafen; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.
 
Gleichzeitig wuchs bei der Einführung des § 175 der Widerstand dagegen.
Im Jahre 1899 überreichte August Bebel (SPD) eine Petition von der „Wissenschaftlich-Humanitäre-Komitee“ unter der Leitung von Magnus Hirschfeld ein, mit 1000 Unterschriften z.T. auch von angesehenen Personen wie dem Potsdamer Schriftsteller Eduard Bertz.
 
 
Magnus Hirschfeld:
 
wurde am 14.05.1868 in Kolberg geboren. Er studierte Medizin und eröffnete in Magdeburg eine naturheilkundliche und allgemeinmedizinische Arztpraxis .
Am 15.05.1897 gründete er mit Eduard Oberg und dem Schriftsteller Franz Joseph von Bülow das Wissenschaftliche humanitäre Komitee (WhK) in Berlin. Aufgabe des Komitees war die entkriminalisierung der sexuellen Handlungen zwischen Männern, und Abschaffung des Paragrafen 175
 
Im Jahre 1918 gründete Magnus Hirschfeld die Dr. Magnus-Hirschfeld-Stiftung, die erste Einrichtung für Sexualforschung. Nach Dr. Magnus Hirschfeld sollte eine wissenschaftliche Einrichtung entstehen, wurde aber hauptsächlich eine ambulante Beratungsstelle für Sexualfragen und es fanden Schulungen und Fortbildungen statt. Außerdem war es ein Zufluchtsort für Menschen in sexueller Not.
 
Im Jahre 1933 wurde die Dr. Magnus-Hirschfeld-Stiftung durch die NSDAP zerschlagen. Dr. Magnus Hirschfeld war ab 1932 im Exil. Ab 1934 lebte er in Nizza, wo er am 14.05.1935 starb.
 
 
Affären im Kaiserreich, die im Zusammenhang des Paragrafen 175 standen
 
Im Kaiserreich wurde Paragraph 175 auch gerne zur Verleumdung benutzt, um unliebsame Personen loszuwerden. Als Beispiele seien die Moltke-Eulenburg- und die Krupp Affäre genannt.
 
 
 
Moltke - Eulenburg - Affäre
 
Begonnen hatte alles am 17.11.1906 mit dem Artikel „Präludium“ von dem Journalisten Maximilian Harden in der Wochenschrift Zukunft. In diesem Artikel hat Harden den„Liebenberger Kreis“ kritisiert.
 
Der Liebenberger Kreis war ein Zusammenschluss vonPersonen die sich um Kaiser Wilhelm II scharten und sich in der „Liebenberger Tafelrunde“ trafen . Hauptperson war der 59 jährige Fürst Philipp zu Eulenburg-Hertefeld.
 
 
 
Fürst Philipp zu Eulenburg-Hertefeld
 
wurde am 12.02.1847 in Königsberg geboren. Als erstes absolvierte er eine Offizierslaufbahn. Danach studierte er Jura in Leipzig und Straßburg.
 
Im Jahre 1877 trat er in den preußischen diplomatischen Dienst ein. Seit 1894 war er Diplomat in Wien, wo er 1903 aus dem diplomatischen Dienst ausschied.
Ab 1886 lernte er den Kaiser Wilhelm II kennen. Es entstand eine Freundschaft zwischen Fürst Philipp zu Eulenburg-Hertefeld und dem Kaiser Wilhelm II.
In dieser Zeit wurde die Liebenberger Tafelrunde auf dem Schloß und Gut Liebenberg, das Philipp zu Eulenburg-Hertefeld gehörte, ins Leben gerufen.
 
Dem Zirkel gehörten Mitglieder der preußischen Aristokratie an, so z.B. August und Botho zu Eulenburg, Kuno von Moltke, Baron Axel von Varnbühler, Georg von Hülsen-Häseler, Emil Graf von Schlitz, Alfred von Bülow, Gustav von Kessel, Graf Ebehard zu Dohna-Schlobitten. Oft war auch Kaiser Wihlhelm II zu Gast der in der Tafelrunde Liebchen genannt wurde. Die Runde war durch eine konservative, elitäre aristokratische, nationalistische und von Rassenlehre durchdrungenen Haltung geprägt. Es gab auch Gerüchte, dass einzelne Mitglieder füreinander homosexuelle Zuneigung empfanden. Explizit wurde Philipp von Eulenburg-Hertefeld und Kuno von Moltke (Stadtkommandant von Berlin) eine homosexuelle Beziehung nachgesagt.
 
Eine Woche nach dem Artikel vom 17.11.1906 schrieb Maximilian Harden erneut einen Artikel als fingiertes Gespräch frei nach Goethes Faust:
 
Der Harfner: „Hast Du gelesen?“
Der Süße: „Schon Freitag.“
Der Harfner: „Undenkbar! Aber sie lassn es überall abdrucken. Sie wollen uns mit aller Gewalt an den Hals.“
Der Süße: „Eine Hexenzunft. Vorbei! Vorbei!“
Der Harfner: Wenn nur ER nichts davon erfährt
 
Mit ER war Kaiser Wilhelm II gemeint. Hardenberg wollte mit diesem Artikel von Eulenburg und von Moltke zeigen, dass er über belastendes Material verfüge und verlangte, dass sich die„Tafelrunde“ aus dem politischen Geschäft raushalten solle, andernfalls würde er damit an die Öffentlichkeit gehen. Philpp von Eulenburg-Hertefeld ging in die Schweiz und man dachte, dass die Affäre vorüber sei.
 
Doch als Philipp von Eulenburg-Hertefeld wieder nach Deutschland kam, wurde die  Kampagne von Harden wieder aufgenommen. Harden schrieb am 13.04.1907 einen Artikel darüber, dass die Liebenberger Tafelrunde dem Kaiser geraten habe in der Marokkokrise zurückzuweichen, statt einen Krieg zu entfachen. Neben dieser Kritik spielte Hardenberg in diesem Artikel auch auf die Homosexualität der Liebenberger Tafelrunde an. Wörtich schrieb er:
 
Die träumen nicht von Weltbränden sie haben es schon warm genug.
 
Da Homosexualität im prüden Kaiserreich verpönt und strafbar nach §175 war, ging der Plan Hardens, einen Skandal zu entfachen, auf.
 
Als der Kaiser Wilhelm II davon erfuhr, entließ er Kuno von Moltke aus seinen Ämtern und Philipp von Eulenburg kündigte er seine Freundschaft, um zu vermeiden, dass er in diesen Skandal miteinbezogen wird.
Philipp von Eulenburg versuchte sich mit einer Selbstanzeige bei der Staatsanwaltschaft Prenzlau den Vorwurf der Homosexualität (§ 175) zu entkräften. Weil der Staatsanwalt ein Freund von Philipp von Eulenburg war, konnte er sicher sein, dass die Unschuld festgestellt wird.
 
Kuno von Moltke klagte Maximilian Harden wegen Beleidigung an. Der ließ sich von Rechtsanwalt Max Bernstein vertreten, einem Könner auf seinem Gebiet. Als Kronzeugin wurde die frühere Frau von Moltke eine Freifrau von Elbe verhört. Die hatte nichts besseres zu tun, als ihren ehemaligen Gatten als „Perversling“ darzustellen. Als Gutachter wurde der Sexualforscher und Gegner des Paragraphen 175 Magnus Hirschfeld benannt. Er bescheinigte von Moltke eine nicht bewußte Homosexualität. Maximilian Harden wurde freigesprochen.
 
Sofort nach dem Urteil hat von Moltke Widerspruch eingelegt, und die Staatsanwaltschaft leitete ein erneutes Verfahren ein. In diesem Prozess versuchte man die frühere Ehefrau von Moltke durch medizinische Gutachten in ihrer Glaubwürdigkeit zu erschüttern. Auch der wieder ernannte Gutachter Magnus Hirschfeld konnte seine frühere Diagnose nicht aufrecht erhalten. Somit wurde Maximilian Harden zu vier Monaten Gefängnis verurteilt.
 
Der wiederum heckte mit seinem Anwalt den Plan aus, Eulenburg des Meineides zu überführen. Sie wollten von einem drittklassigen Münchener Journalisten einen fingierten Artikel schreiben lassen, um einen Beleidigungsprozeß zu erwirken. Am 23.03.1908 veröffentlichte der Redakteur Anton Städele in einer kleinen Münchener Zeitung einen Artikel, dass Maximilian Harden von Eulenburg eine größere Geldsumme erhalten habe, um künftig zu schweigen.
 
In diesem Beleidigungsprozeß, bei dem es nicht um den Journalisten Anton Städele ging, sondern um die Homosexualität von Eulenburg, nannte Harden und sein Anwalt zwei Zeugen die bezeugen sollten, dass sie mit von Eulenburg Geschlechtsverkehr hatten. Der Plan ging auf, M. Harden wurde freigesprochen.
 
Damit hatte für Philipp von Eulenburg-Hertefeld der Ausgang des Prozesses katastrophale Folgen und seine gesellschaftliche Stellung war ruiniert.
Die Staatsanwaltschaft Berlin eröffnete ein Verfahren gegen von Eulenburg wegen Meineides. Der Prozeß wurde aber wegen gesundheitlicher Probleme von Eulenburg verschoben. Aber auch der zweite Prozess wurde wegen der gesundheitlichen Probleme von Eulenburgs abgebrochen und bis zum Tod von Eulenburgs im Jahre 1921 nicht wieder aufgenommen.
 
Die Frage ist nicht, ob die handelnden Personen schwul waren oder nicht, sondern nur die Behauptung, dass es so sei, reichte aus, um Karrieren im Kaiserreich zerstören zu können. Es zeigt die homophobe Stimmung im Kaiserreich. Die Öffentlichkeit dieser Affäre hatte für dieHomosexuellen durchaus den Vorteil, dass das Thema Homosexualität in der Bevölkerung verankert wurde und nicht mehr tabuisiert werden konnte
 
Außerdem zeigte die Affäre auch den Antisemitismus bestimmter Kreise im Kaiserreich. Da der Anwalt von Maximilian Harden und der Gutachter Magnus Hirschfeld der jüdischen Religion angehörten, verbreitete von Eulenburg antisemitische Äußerungen und ein Teil der nationalgesinnten Zeitungen schrieb antisemitische Artikel.

 

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