MANEO: Gewalt gegen Schwule in Berlin hält unvermindert an

(Gaybrandenburg - Redaktion) „Gewalt gegen Schwule ist weiterhin Alltag in Berlin", so MANEO-Projektleiter Bastian Finke angesichts der Vielzahl der seit Jahresbeginn eingegangenen Meldungen. Auch im beginnenden dritten Quartal 2007 erfasste Berlins schwules Anti-Gewalt-Projekt bereits zahlreiche gegen Schwule gerichtete Übergriffe. „Unser Überfalltelefon läuft momentan heiß. Die Botschaft, Homophobie und Hassgewalt nicht einfach zu bagatellisieren, sondern zu melden, ist bei vielen angekommen", resümiert Finke das verstärkte Engagement der vergangenen Monate. Die 2006 gestartete MANEO-ToleranzKampagne zeigt Wirkung: „Betroffenen fühlen sich ermutigt, Vorfälle bei uns zu melden. Viele von ihnen nehmen auch die Unterstützung unserer Opferhilfe in Anspruch." Weil die kürzlich vorgestellte MANEO-Studie zu Gewalterfahrungen von schwulen und bisexuellen Jugendlichen und Männern eine Dunkelziffer von 90 Prozent offenbart, steht MANEO noch viel Arbeit bevor.

MITTE, 17.06.2007, U-BAHNHOF ROSENTHALER PLATZ

Gegen 05:10 Uhr morgens wurden ein 29-Jähriger und sein 34-jähriger Freund am Fahrkartenauto-maten auf dem U-Bahnhof Rosenthaler Platz von einem etwa 20 bis 25 Jahre alten Mann, der in Be-gleitung zweier weiterer junger Männer war, belästigt und bedrängt.

Zunächst hatten die Betroffenen die Pöbeleien des jungen Mannes als „blöden Unfug" angesehen, dem sie nicht weiter Beachtung schenken wollten. Sie setzten sich auf eine Bank, um auf ihre U-Bahn zu warten. Dann hörten sie, wie gegen den Fahrkartenautomaten und die BVG-Infowand getreten wurde; der „bullige Typ" rief seinen Begleitern zu, sie würden jetzt zu den „Schwuchteln" gehen. Er begann daraufhin die bei-den Geschädigten zu provozieren, warf die Bierflasche des 34-Jährigen ins Gleisbett und versuchte dem 29-Jährigen dessen Schlüsselbund, das an einem Band befestigt war, zu entreißen. Der Betroffene konnte seine Schlüssel festhalten, jedoch riss das Band. Nachdem dann der 34-Jährige einem gezielten Fußtritt des Täters gerade noch ausweichen konnte, rief er per Handy die Polizei. Der Täter versuchte unterdessen dem 29-Jährigen dessen Rucksack zu entreißen. Er traf ihn mit einem kräftigen Tritt in die Rippen. Der Geschädigte fiel unter Schmerzen zu Boden, bekam keine Luft mehr. Als er versuchte sich aufzurichten, bekam er einen schweren Tritt gegen den Kopf und verlor daraufhin das Bewusstsein. Der 34-jährige Freund musste dann mit ansehen, wie der Täter ein zweites Mal mit dem Fuß gegen den Kopf seines Freundes trat. Dann rannten alle drei Täter weg.

Umstehende Fahrgäste kümmerten sich um den verletzten 29-Jährigen, als dieser das Bewusstsein wie-dererlangte. Die mit großem Aufgebot angerückte Polizei suchte die Umgebung ab und konnte einen der Täter, der sich plötzlich wieder auf dem Bahnsteig zeigte, trotz erheblicher Gegenwehr festnehmen.

Der 29-Jährige wurde wegen Verdachts auf mögliche Schädigung des Halswirbels mit dem Rettungswagen in die Charité gebracht.

Der Geschädigte berichtete, dass eine Krankenschwester, der er auf Nachfrage vom wahrscheinlich ho-mophoben Hintergrund des Übergriffs erzählte, gesagt hätte, sie hätten sich „wohlmöglich zu schwuchtelig verhalten". Diese Aussage empfand der Betroffene als Zumutung. Der 29-Jährige konnte nach eingehender Untersuchung und ambulanter Behandlung das Krankenhaus wieder verlassen.

Er berichtete weiter, dass er seit dem Überfall immer wieder mit Panikattacken zu kämpfen habe. Er könne zurzeit nicht mehr auf die Straße gehen, weil er unter der Angst leide, plötzlich und unerwartet angegriffen zu werden.

KREUZBERG, 23.06.2007, GNEISENAUSTRAßE

Gegen 01:00 Uhr nachts wurden drei schwule Männer auf offener Straße beleidigt und mit einer Glasflasche beworfen, sowie an einer Straßenkreuzung fast von einem Auto angefahren. Die Betrof-fenen befanden sich teilweise in Fummel gekleidet auf dem Weg ins SchwuZ.

Einer der Betroffenen, ein 27 Jahre alter schwuler Mann, berichtete, dass er gemeinsam mit zwei Freunden in der Gneisenaustraße Richtung SchwuZ unterwegs gewesen sei. Zwei von ihnen waren in Fummel ge-kleidet. Sie kamen an drei jungen Männern vorbei, alle etwa zwischen 16 und 20 Jahre alt. Diese riefen ihnen „schwule Sau" und andere Beleidigungen nach, warfen ihnen eine Flasche hinterher, die nur knapp einen Meter neben den Geschädigten zersprang.

Als sie dann kurz darauf an einer grünen Fußgängerampel über eine Straßenkreuzung gehen wollten, gab ein dort haltender Autofahrer kurz Gas, so als ob er sie anfahren oder überfahren wollte, und stoppte kaum einen halben Meter vor ihnen. Der Fahrer war ein etwa 20 Jahre alter junger Mann.

NEUKÖLLN, 07.07.2007

Zwei 25 und 38 Jahre alte schwule Männer berichteten MANEO, was sich in der Nacht des 07.07. auf den 08.07.2007 in ihrem Haus, in dem sie vier Monate zuvor eine gemeinsame Wohnung bezogen hatten, zugetragen hatte.

Etwa gegen etwa 22:30 Uhr vernahmen sie dumpfe Schläge aus der Wohnung ihres Nachbarn. Weil sie ihre Ruhe haben wollten, schlugen sie kurz gegen die Wand. Daraufhin kam der junge Mann in den Flur gestürzt und begann, mit Gewalt gegen die Wohnungstür der Betroffenen zu treten. Dabei rief er: „Ihr schwulen Säue", „Ihr Arschficker" und „Ich bringe euch um". Die Situation schien zu eskalieren. Eine ande-re Bewohnerin rief aufgrund des Krachs von unten hoch: „Ist da jetzt mal Ruhe." Daraufhin brüllte der Täter hinunter: „Halt die Fresse, du Hure, sonst komm ich runter und schlitz dich auf." Da der Täter weiter gegen die Tür trat, alarmierten die Betroffenen die Polizei, die kurz darauf eintraf.

MANEO, 02.08.2007/ Seite 3

Die Beamten klingelten an der Tür des Täters, der sich, als er das Herannahen der Polizei bemerkte, sogleich in seine Wohnung zurückgezogen hatte. Nach etwa 10 Minuten verließen die Beamten die Woh-nung des Täters und fuhren wieder ab. Auf die Frage der Betroffenen, warum der Täter nicht mit zur Poli-zeiwache genommen werde, hätten die Beamten erklärt, dass nichts Ernsthaftes passiert sei.

Kurz nach dem Abrücken der Polizei schlug der Täter erneut mehrfach gegen die Wand, schrie: „Lauf in mein Messer, du Schwuchtel." Er drehte die Musik auf, hämmerte weiter gegen die Wand.

Sodann sei der Täter wieder auf den Flur gekommen, habe an der Tür Sturm geklingelt, weitere Beleidigungen gegen die Betroffenen ausgerufen und gegen die Tür getreten. Dann hörten die Betroffenen ein Geräusch, als ob der Täter mit einer Axt gegen die Tür schlage. In der Panik, der Täter könne durch die Tür dringen, riefen die Betroffenen ein weiteres Mal die Polizei. Während sie erneut auf das Eintreffen der Polizei warteten, stach der Täter mit einem Messer ein Loch in die Tür, Er rief dann: „Du rufst noch einmal die Bullen. Ich schlitz dich auf! Ich bring euch um!" Die Betroffenen verständigten in ihrer Panik drei Mal die Polizei.

Etwa 15 Minuten nach Mitternacht trafen mehrere Strei-fenwagen der Polizei ein, darunter auch Zivilbeamte. Der Täter verbarrikadierte sich daraufhin in seiner Wohnung. Mithilfe eines Rammbockes brach die Polizei die Wohnung auf, versprühte Reizgas und führten wenig spä-ter den Täter in Handschellen ab.

Die Betroffenen verließen dann die Wohnung und flüchteten zu einem Nachbarn. Sie kamen nach ein paar Tagen nur noch einmal zurück, um ihre Sachen aus der Wohnung zu holen. Sie sind mittlerweile umgezogen.

KREUZBERG, 13.07.07, ORANIENSTRAßE

Gegen 02:00 Uhr nachts stand der 27-jährige Mann mit seinem 22 Jahre alten Freund vor einer ge-schlossenen Bar unweit des Lokals „Bierhimmel" in der Oranienstraße, als sie von einer Gruppe junger Männer angegriffen wurden.

Der 22-Jährige berichtete, sie hätten gehört, wie zwei dunkel gekleidete junge Männer deutscher Herkunft herumpöbelten und sich ihnen auf dem Bürgersteig näherten. Kurz vor ihnen begannen sie, die Betroffenen als „Schwuchteln" zu beschimpfen. Unvermittelt wurde der 22-Jährige von den Tätern, beide Anfang 20 Jahre alt, im Vorbeilaufen gegen die Wand geschubst. Er stieß mit dem Kopf so heftig gegen die Wand, dass er im Gesicht zu bluten begann.

Als die Betroffenen bemerkten, wie einer der Täter umkehrte und ihnen noch einmal entgegen kam, ergriffen sie die Flucht.

KREUZBERG, 29.07.07, BLÜCHERPLATZ

Gegen 19:30 Uhr wurde zwei schwulen Männern, die Hand in Hand einen Parkweg entlanggingen, ein Pflasterstein hinterher geworfen. Der Stein verfehlte sie nur knapp.

Der Betroffene, ein 39 Jahre alter schwuler Mann, ging mit seinem 29-jährigen Freund Hand in Hand durch den kleinen Park vor der Amerika-Gedenk-Bibliothek, als sie plötzlich ein Zischen und einen dumpfen Knall hinter sich hörten: Ein Pflasterstein war etwa einen Meter hinter ihnen eingeschlagen. Sie bemerkten drei bis vier Jugendliche, etwa 16 bis 20 Jahre alt, die aus etwa 30 Metern Entfernung zu ihnen herüber grölten.

Sie selbst wären dann zunächst weitergegangen und hätten sich noch einmal ungläubig umgesehen: „Das war richtig krass, mit welcher Heimtücke dieser Stein gezielt gegen uns geworfen wurde. Jemand hätte lebensbedrohlich verletzt werden können." Die Täter entkamen unerkannt.

Obwohl ihm der Gedanke nicht behagt, überlegt der Betroffene nun, ob er sich demnächst zum Schutz selbst bewaffnen müsse.

Drucken