East Bloc Love

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Interview mit Sergaj Yenin, nachdem der Film über seine Erfahrungen als Homosexuellen-Aktivist vor Publikum gezeigt wurde. Yenin ist Homosexuellenaktivist aus Weißrussland.

S.Y. : Es ist nun das zweite Mal, dass ich den Film auf einer Großleinwand gesehen habe und jedes Mal, wenn ich ihn sehe, fallen mir immer mehr Details auf und es wird nie öde oder langweilig. Ich saß in einem Sessel im Vorführungsraum oder im Kino und habe an meinen Fingernägeln gekaut, war die ganze Zeit nervös, habe schwitzige Hände bekommen und es kamen schlechte Erinnerungen in mir hoch von Gefühlen, die ich früher einmal empfunden hatte.

Ich denke, eines der einprägsamsten Zitate im Film ist (ich weiß nicht, ob es von Ihnen oder einem Ihrer Freunde in Weißrussland stammt): "Wir hoffen, dass wir von der Polizei verhaftet werden und uns nicht die Skinheads erwischen." Ich denke, das sagt schon alles oder?

S.Y. : Ja, in der Tat. Der Grund dafür ist die massive Inakzeptanz unglaublich vieler Menschen. Sie sprechen sich gegen Homosexualität und queeren Aktivismus aus. Man wird im Falle einer Festnahme durch die Polizei weniger brutal zugerichtet als von der homophoben Bevölkerung, die ihre Gefühle nicht unter Kontrolle hat und die dich wirklich ernsthaft verletzen und dir mehrere Monate im Krankenhaus einbringen kann. Ja, die Polizei verhaftet die Leute zwar auch sehr brutal, aber wenn ich mich an Gewalttaten in der Vergangenheit erinnere (ich bin oft auf der Straße verprügelt worden) kann ich die, durch die Polizei und die, durch Homophobe verursachten Verletzungen, vergleichen. Deshalb meine Aussage, dass es besser ist, verhaftet zu werden, bevor die Homophoben kommen, weil diese tun, was sie wollen,weil sie sich nicht kontrollieren können und beherrscht sind von ihren Emotionen, von ihrer Wut. Sie bezeichnen sich selbst als "Christen". Die orthodoxe Kirche ist sehr viel strenger, sehr viel orthodoxer, sehr viel brutaler und schlimmer als die katholische Kirche in Westeuropa, würde ich sagen. Und die Mehrheit der religiösen Menschen gehört der orthodoxen Kirche an, die durch die Weisungen der Führenden der Orthodoxen Kirche regiert wird. Zu sehen ist das vor allem in Moskau, viel extremer als in Weißrussland. Dort tragen sie manchmal Kreuze mit sich, als würden sie Teufelsaustreibungen oder ähnliches machen wollen... und manchmal werden Homophobe von orthodoxen Priestern gesegnet, was ich abscheulich finde.

Ich habe den Eindruck, dass die Zuschauer heute Nachmittag sehr geschockt waren von dem, was sie im Film gesehen haben. Wie haben Sie das empfunden?

S.Y. : Ja, das Gefühl hatte ich auch, denn immer, wenn mir Menschen Fragen zum Film stellten, konnte ich in ihren Augen diesen Ausdruck des Erstaunens sehen. Ich kann völlig verstehen, dass die Unterschiede, Mentalitäten oder historische Hintergründe der Menschen betreffend (vor allem am Vergleich Westeuropa / Osteuropa sichtbar), dazu führen, dass die Menschen schockiert reagieren, wenn sie zum ersten Mal in ihrem ruhigen Leben so etwas sehen. Es mag schockierend sein, aber gleichzeitig hat es auch etwas Gutes, es ist ein Akt der Dekatierung. Jetzt sehen sie den Unterschied zu ihrem eigenen Leben und ich hoffe, dass sie nach dem Ansehen des Filmes diese Probleme, wie sie in Weißrussland existieren, in ihren Communitys diskutieren und dass sie ihre Freiheiten nicht als selbstverständlich erachten. Sie müssen auf jeden Fall anerkennen, dass diese Rechte einem nicht geschenkt werden, sondern, dass man sie einfordern muss, manchmal auch auf raue Art und Weise. Manchmal muss man Rechte einfordern, manchmal muss man Menschen für die Sache gewinnen, manchmal muss man Hilfe aus anderen Ländern einfordern.

Denken Sie, dass in Weißrussland eines Tages ein gayPride offiziell erlaubt werden wird?

S.Y. : Ob ich mir vorstellen kann, dass dieser Tag einmal kommt? Ja, natürlich kann ich das. Die Diktatur und das Regime von Lukaschenko wird von Tag zu Tag schwächer, weil im Land eine katastrophale Situation herrscht (vor allem wirtschaftlich gesehen), die Menschen dort können sich oft nicht mal mehr etwas zu essen leisten und irgendwann wird die Bevölkerung so wütend sein, dass Lukaschenko gestürzt werden wird. Er wird gehen müssen und ein anderer, fair gewählter Präsident, wird an die Macht kommen. Und ich glaube, dass das bald passieren wird. Es wird dann sehr viel leichter sein, soziale Gruppen und die Regierung in einen Dialog miteinander zu bringen. Ich bin mir also sicher, dass es diesen Tag geben wird und ich kann vorhersagen, dass es schon in drei bis vier Jahren so weit sein wird. Wenn dieses Land am Boden liegt, wie es schon viele Male in der Geschichte vorkam, danach neu aufgebaut wird und die Menschen in Weißrussland, denen nie zuvor Freiheit gewährt wurde, endlich Freiheit erfahren dürfen (als ganze Nation, nicht nur als Homosexuelle) dann sollten sie nicht Teile ihrer Nation in ihren Freiheiten beschneiden. Ich denke, dass sich eines Tages folgende Sichtweise durchsetzen wird: "Ob du nun homosexuell bist oder nicht - du bist Weißrusse/Weißrussin, also bist du vielleicht homosexuell, aber du bist UNSER Homosesexueller/ UNSERE Homosexuelle und du bist uns willkommen." Dieser Standpunkt wird eines Tages die Oberhand gewinnen und den Menschen helfen, die Minderheit, die vielleicht vielfältig ist, die nicht  aussieht wie die anderen, zu akzeptieren.

 


Aufgeschrieben von Marcina und Sebastian (Queer Factory für gayBrandenburg.de)

 

 

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