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Russland ist noch nicht reif für CSDs!

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Holger Wicht mit La Sky - Vertretern. Dem russischen HIV/ Aids - Präventionsverband

In Russland ist Homosexualität etwas sehr Privates, das man nicht nach außen trägt. Die Gesellschaft ist homophob, der CSD in Moskau endete immer wieder mit Festnahmen und Gewalt. Wie kann man daran etwas ändern? Ein Gespräch mit den Machern der Ausstellung „Männer wie wir“.

Ende November zeigte ICH WEISS WAS ICH TU im Berliner Axel Hotel die Ausstellung „Männer wie wir“ mit Fotos von russischen Fotografen. Die Ausstellung entstand auf Initiative der russischen HIV/Aids-Präventionsorganisation LaSky. Die Organisatoren und zwei der Fotografen verbrachten eine Woche in Berlin. Wir sprachen mit Andrej Bjeloglazow (Leiter von La Sky Russland), Iljah Kurmajew (Leiter von La Sky St. Petersburg) und dem Fotografen Sergej Wassiljew.



Wie gefällt’s euch im schwulen Berlin?
Iljah: Ich mag es hier sehr. Mein erster Eindruck im schwulen Viertel war, dass schwules Leben hier etwas sehr Selbstverständliches ist.

Ist das anders als bei Euch in Moskao oder St. Petersburg?
Andrej: In Moskau gibt es kein schwules Leben, das mit dem hier vergleichbar wäre. Hier lebt man schwul bei allem, was man macht. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich in einem schwulen Hotel und in einem schwulen Viertel wohne, und dass ich mich ständig mit Schwulen unterhalte. Das kann ich in Moskau beim besten Willen nicht an einem Tag sagen.

Wie ist die Situation in Moskau für dich?
Andrej: Ich lebe dort nie als schwuler Mann. Ich bin einfach ein Bürger, der seine Homosexualität nicht nach außen tragen darf. Schwul bin ich nur in meinem Inneren, das ist eine äußerst private Angelegenheit.

Iljah_Kurmajew

Bei deiner Arbeit bist du aber schon offen schwul, oder?
Andrej: Ja, aber es gibt außer mir im HIV/Aids-Bereich in Russland keinen anderen offenen Schwulen.

Und was ist mit Iljah?
Andrej: Er leitet unsere Einrichtung in St. Petersburg, aber er ist keine Person des öffentlichen Lebens. Er muss zum Beispiel nicht in UNO - Zusammenhängen referieren oder auf Pressekonferenzen auftreten wie ich.

Sergej, du bist ein bekannter Männerfotograf, deine Bilder erscheinen in schwulen Zeitschriften. Wissen deine Nachbarn, was du beruflich machst?
Sergej: Viele Menschen wissen, dass ich mich mit Männererotik befasse. Und viele Männer, die ich fotografiere, sind heterosexuell. Es ist sehr leicht, mit ihnen zusammen zu arbeiten. Auch in unseren schwulen Club in Nischni Nowgorod kommen in letzter Zeit immer mehr Heterosexuelle. Sie fühlen sich unter Schwulen einfach wohl.
Andrej: (schüttelt heftig den Kopf) Die Schwulen gehen nicht mehr in die Clubs, weil die Homophobie zunimmt, die Heteros füllen die leeren Plätze. Die Schwulen fliehen in ihre virtuelle Welt und in private soziale Netzwerke.

Sergej sagt, die Gesellschaft wird liberaler und du behauptest das Gegenteil?
Andrej: Ich glaube nicht, dass es immer liberaler wird. Es gibt eine Reihe von Gründen dafür, dass die Schwulen fliehen. Aber der Hauptgrund ist, dass die Menschen Angst vor öffentlichen Plätzen haben – auch vor schwulen Clubs.

Weil es noch Diskriminierung gibt?
Andrej: Es ist zum Beispiel nicht möglich, auf die Tür eines Clubs „Men only“ zu schreiben. Die Clubbetreiber wollen keine rein schwulen Clubs. Das bringt den Mann auf dem Weg dorthin auf den Gedanken: „Was, wenn ich dort meinen Nachbarn oder meinen Lehrer treffe?“
Sergej: Bei uns in Nischni Nowgorod läuft es anders. Die Schwulen bringen auch ihr heterosexuelles Umfeld mit in die schwulen Clubs, zum Beispiel Arbeitskollegen.

Erlebst du Diskriminierung?
Sergej: Wenn jemand etwas Negatives sagt, mache ich ihm klar, dass es viele schwule Männer gegeben hat, die die Welt nach vorne gebracht haben. Und gleichzeitig sage ich: Wenn du im Fernseher einen schwulen Schauspieler oder Sänger siehst, dann schaltest du doch nicht weg!

Von welchen berühmten Männern sprichst du?
Sergej: Zum Beispiel von Tschaikowski, dem Komponisten, und von Nurejew, dem Balletttänzer.

Und überzeugt das die Leute?
Sergej: Die Zeit wird dafür sorgen, dass ein schwules Leben in Russland völlig selbstverständlich ist. Russland war 70 Jahre lang ein totalitaristisches Regime und in Bezug auf Neues immer sehr zurückhaltend. Wie Gorbatschow, der ehemalige Präsident der Sowjetunion, sagte: Wir brauchen ein neues Denken.
Sergej_Wassiljew

Die meisten Deutschen wissen wenig über das schwule Leben in Russland. Kann man zum Beispiel als schwules Paar in einem Mietshaus wohnen?

Andrej: Es gibt kein offenes schwules Leben! Das Zusammenleben von Schwulen in einer Wohnung ist möglich. Aber ihr Leben ist trotzdem versteckt. Als Schwule leben sie nur, wenn sie die Tür hinter sich geschlossen haben.

Die Nachbarn wissen also nichts davon, dass dort zwei Schwule wohnen?
Andrej: Sie bekommen das nicht mit. In Moskau ist Wohnraum sehr teuer, also wohnen Menschen oft zusammen. Da wohnen zwei Männer – na und? Wenn sie laute Partys schmeißen, dann kann es natürlich dazu kommen, dass die Nachbarn sie diskriminieren.

Sergej, du bist Triathlet und Trainer der Mannschaft deiner Region. Musst du dich in der Welt des Sports verstecken?
Sergej: Ich kann nur soviel sagen: Bei Sportveranstaltungen wohnen immer zwei Mannschaftskameraden in einem Zimmer. Niemand spricht darüber, was dort stattfindet, aber es findet einiges statt. Und es gibt in Russland ein lesbisches Basketballteam. Ich denke, dass die Beziehung zur Gay Community bei den Sportlern etwas toleranter ist.
Andrej: Aber du bist jetzt erst seit ein paar Tagen in Deutschland und hast schon mehr Leute kennen gelernt, die schwul leben, als in deinem ganzen vorherigen Leben!

Als Trainer bist du also nicht offen schwul, Sergej?
Sergej: Ich wurde einmal in einer Zeitung enttarnt. Mein erster Gedanke: Ich muss alle Zeitungen wegkaufen! Dann habe ich gesagt: Es soll kommen, wie es kommt, ich werde einfach beobachten. Am Ende ist gar nichts passiert.

Die Leute wissen also Bescheid, reden aber nicht darüber?
Sergej: Wir diskutieren darüber nicht. Die Beziehung der Leute zu mir ist absolut normal, nicht auffällig. Dass sie darüber reden, das ist auch normal.

Aber sie reden nicht mit dir darüber?
Sergej: So etwas gibt es bei uns nicht! Es kann nicht einfach jemand zu mir kommen und sagen: Sergej, ich habe gehört du bist homosexuell. Das ist meine ganz persönliche Sache. Wenn ich doch mal gefragt werde, dann sage ich ja. Wenn nicht, dann sage ich gar nichts. Ich gehe nicht auf die Straße und sage laut: So ist es!

In Deutschland finden viele Leute, Schwule müssten offensiv auftreten.
Sergej: Wozu? Als ich das erste Mal eine Mannschaft trainiert habe, haben die Jungs mich in einen Gay Club eingeladen. Mein erstes Mal in einem schwulen Club war mit Heteros! Einer der Jungs trat dort als Stripper auf. Wir haben sehr offen über dieses Thema geredet. Jetzt habe ich junge Jungs in der Mannschaft und solche Fragen werden nicht mehr diskutiert. Der Altersunterschied ist zu groß.

Viele deutsche Schwule finden: Homosexualität kann nur zu etwas Selbstverständlichem werden, indem wir uns ganz selbstverständlich als schwul zeigen.
Sergej: Das ist aber absurd. Wenn ein Installateur zu mir nach Hause kommt, um etwas zu reparieren, warum muss der dann wissen, dass ich schwul bin? Oder jemand, mit dem ich etwas Berufliches bespreche – warum muss der es wissen? Es ist etwas ganz anderes, wenn er kommt und sagt: Sie sind doch schwul. Dann sage ich: Ja, hast du ein Problem damit? Aber ich werde von mir aus nicht darüber reden. Die meisten Leute interessiert so etwas gar nicht.

Wir haben immer wieder von den verbotenen CSDs in Moskau gehört, die mit Gewalt endeten. Wäre ein CSD nicht eine gute Gelegenheit, sich der Gesellschaft zu zeigen?
Andrej: Russland ist noch nicht reif dafür. Wir können keinen Pride machen, weil wir keinen Grund haben, stolz zu sein. Und wir leben in einer sehr homophoben Gesellschaft. In Städten wie Paris wird der Pride von der ganzen Stadt unterstützt. Als in Moskau das erste Mal Gay-Pride-Demonstrationen angekündigt wurden, haben manche gesagt: Lasst die Schwulen das doch machen, dann sammeln die sich alle an einem Ort, und man kann sie einen nach dem anderen niederschlagen.

Die Aufstände in der New Yorker Christopher Street 1969 richteten sich auch gegen schwulenfeindliche Gewalt – und sie waren sehr erfolgreich.
Andrej: Man kann das nicht vergleichen. Das Niveau der Demokratie war ein anderes. Und auch die Subkultur war ganz anders als unsere. Wir Russen sind es gewöhnt, über Sex nicht zu reden. Es gibt bis heute keinen Sexualkundeunterricht in den Schulen. Wenn in der Biologie Sexualität durchgenommen wird, werden die Jungs von den Mädchen getrennt. Wenn eine Lehrerin das Wort „Präservativ“ sagt, wird sie rot und guckt auf ihre Schuhe. Wie soll man in so einer Gesellschaft einen Gay Pride durchführen?

Der grüne Politiker Volker Beck ist bei einem der Moskauer CSDs niedergeschlagen worden. Wie habt ihr das wahrgenommen?
Andrej: Volker Beck wurde von dem provokanten Aktivisten Nicolai Aleksejev eingeladen. Aber solche provokativen Aktionen schaden uns nur! Als Volker Beck verprügelt wurde, wurde er in Russland nicht bedauert, sondern alle haben gesagt: So soll es sein, er ist schwul. In der Presse stand: „Gay Pride ist eine ausländische Veranstaltung. Die Deutschen wollen so etwas bei uns einführen, sie bringen das Verderben in unsere Gesellschaft.“

Was wäre denn hilfreich für die Emanzipation?
Iljah: Wenn es zum Beispiel zum Jahrestag der Gründung von St. Petersburg eine Demonstration gibt, dann ist das eine freudvolle gemeinsame Feier. Da kann man einen schwulen Block mitlaufen lassen, auch mit der Regenbogenfahne.

Andrej: Wir müssen Informationskampagnen starten und dabei die Besonderheiten der russischen Gesellschaft nutzen. In Notsituationen entsteht in Russland eine enorme Solidarität. Eine Kampagne für Toleranz würde den Menschen erklären, dass die Schwulen nicht krank, nicht pervers, nicht pädophil sind.

Was hat die Ausstellung „Männer wie wir“ in Russland für eine Bedeutung gehabt?
Andrej: Wir wollten die oberen Schichten auf unsere Seite ziehen: Künstler, Manager, Wissenschaftler. Und sie sind tatsächlich gekommen. Sie sind uns jetzt näher als vorher.

Was bedeutet es euch, die Ausstellung hier in Berlin gezeigt zu haben?
Andrej: Wir haben sehr gute und verlässliche Partner in Deutschland gefunden. Wir hoffen, dass wir in Zukunft noch mehr Projekte mit euch durchführen können!

Sergej: Es war schön, hier die Schönheit und Männlichkeit unserer Männer zu zeigen. Vielleicht kann ich solche Fotos auch in Deutschland machen, von deutschen Jungs – und die Bilder dann in Russland zeigen.
Iljah: Es ist uns wichtig zu zeigen, dass die schwule Kultur in Russland existiert! Als ich die Bilder von Volker Beck gesehen habe, war ich sehr traurig. Ich dachte: Die ganze Welt wird jetzt denken, dass es in Russland unerträglich schlimm ist. Jetzt können wir uns hier zeigen und sagen: Seht bitte auch das Positive an uns.

Interview: Holger Wicht
Dolmetscher: Sergiu Grimalschi
Quelle: www.iwwit.de