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Harald Petzold: Eheöffnung für Lesben und Schwule

haraldpetzoldRede Harald Petzold, 13.12.2013, Deutscher Bundestag: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Besucher auf der Tribüne, die noch verblieben sind!
„Du entscheidest! – 100 % Gleichstellung nur mit uns.“

(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dieses Plakat hat groß an einem Lastkraftwagen geprangt, mit dem die SPD die Christopher-Street-Demonstrationen und -Paraden in diesem Jahr in allen deutschen Großstädten begleitet hat. Sie haben zu früh geklatscht, liebe Kolleginnen und Kollegen; denn ich muss Ihnen nach Lesen des Koalitionsvertrages leider sagen: Sie sind den Tausenden Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen und Intersexuellen in diesem Land, die von Ihnen tatsächlich hundertprozentige Gleichstellung erwartet haben, im wahrsten Sinne des Wortes in die Parade gefahren.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Mechthild Rawert [SPD]: Warten Sie es mal ab!)

Deswegen habe ich mich entschlossen, meine erste Rede hier in diesem Hohen Hause nicht leise, brav und diplomatisch zu halten, (Ulrich Kelber [SPD]: Das hat auch keiner von Ihnen erwartet!)

sondern gleich in die Vollen zu gehen, weil ich genauso wie die vielen Tausend, denen ich hier eine Stimme geben will, enttäuscht darüber bin, dass wir wieder nur vertröstet und hingehalten werden und es keine hundertprozentige Gleichstellung gibt. Ich sage Ihnen klar und deutlich: Wir haben es satt, hingehalten zu werden, uns weiter verstecken und verstellen zu müssen und keine Gleichstellung zu erreichen.

(Beifall bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Wer muss sich denn hier  verstecken?)

Ich habe mein gesamtes politisches Leben dafür gekämpft, dass sich Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle und Intersexuelle nicht mehr verstellen und verstecken müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Sie können die Umfragen dazu lesen, wie das Outing im Berufsleben aussieht. Ich will, dass sich diese Menschen nicht länger wegducken müssen. Ich habe gemeinsam mit engagierten Mitstreiterinnen und Mitstreitern in Brandenburg Aufklärungstouren durch das Land organisiert. Wir haben inzwischen seit 1990 in jeder kleinen Gemeinde und in jeder kleinen Stadt haltgemacht und dort die Regenbogenflagge gehisst. Jeder Bürgermeister, der sich geweigert hat oder sich hinter der korrekten preußischen Flaggenordnung des Landes Brandenburg verstecken wollte, konnte sich sicher sein: Wir kommen wieder, bis die Regenbogenflagge gehisst ist und bis klar und deutlich ist: Wir sind willkommen – in jeder Stadt, in jeder Gemeinde in Brandenburg.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich werde es niemals vergessen, wie bei einer solchen Aktion in Wittstock zwei über 70-jährige lesbische Frauen mit Tränen in den Augen vor mir gestanden und gesagt haben: Dass wir das noch erleben, dass in unserer Heimatstadt die Regenbogenflagge weht. Ich denke, wir sind bei diesen Menschen im Wort. Deswegen werde ich nicht nur leise und höflich darumbitten, endlich in diesem Land gleichbehandelt zu werden und die gleichen Rechte zu erhalten, die Sie alle, wie Sie hier sitzen, ganz selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen. Mit unserer Diskriminierung, mit Ungleichbehandlung und mit der Verweigerung von Gleichstellung darf in diesem Land nicht weiter Staat gemacht werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Im Koalitionsvertrag ist von Respekt die Rede. Aber was ist das für ein Respekt, wenn ich fünf Zeilen weiter lesen muss, dass die Gleichbehandlung gerade einmal so weit verwirklicht werden soll, wie das Bundesverfassungsgericht es als Minimum in einem konkreten Fall entscheidet! Was ist das für ein Respekt? Seit 2002 urteilt das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung und inzwischen mit einstimmigen Urteilen: Stellt endlich gleich! Wenn Sie sich die Begründung dieser Urteile durchlesen, dann werden Sie merken, dass inzwischen auch die Richterinnen und Richter davon genervt sind, dass das nicht stattfindet.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Johannes Kahrs [SPD]: Wir auch!)

– Herr Kahrs, ich danke Ihnen für diesen Zwischenruf. Ich könnte Ihnen den Stapel von Erklärungen vorlegen, mit denen Sie der Öffentlichkeit immer wieder zu Recht mitgeteilt haben, (Johannes Kahrs [SPD]: Ja! Eben!) dass damit Schluss sein muss, dass das Bundesverfassungsgericht das vorgibt. Aber Sie setzen das nicht um.

(Burkhard Lischka [SPD]: Woher wissen Sie das denn?)

Meine Damen und Herren, ich bin stolz darauf, dass ich Mitglied der Fraktion bin, die sich bislang am konsequentesten für die Gleichstellung aller Lebensweisen eingesetzt hat.

(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der SPD)

Bereits im Sommer 2010 hat meine Amtsvorgängerin Barbara Höll einen entsprechenden Antrag zur Öffnung der Ehe für alle eingebracht und begründet. Ich bin Barbara Höll für ihr unermüdliches Engagement in diesem Hohen Hause sehr dankbar.


(Johannes Kahrs [SPD]: Warum ist denn Barbara Höll nicht mehr im Bundestag? Das würde ich gerne mal wissen!) Ich bin ihr dankbar dafür, dass sie das gemacht hat und seit 1990 hier für die Gleichstellung von Lesben und Schwulen gekämpft hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber vor allen Dingen – damit bin ich wieder am Ausgangspunkt – bin ich für das Engagement der vielen Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen und Intersexuellen dankbar, die ein Recht darauf haben, dass wir ihre Forderung endlich erhören, dass wir tatsächlich vor diesem Engagement Respekt zeigen und endlich die Ehe öffnen. Meine Damen und Herren, kommen Sie endlich in der Lebenswirklichkeit an, und folgen Sie dem Beispiel von vielen Ländern in der Welt: von unseren europäischen Partnern wie Dänemark, Belgien, Niederlande, Frankreich, sogar dem konservativen Großbritannien, von lateinamerikanischen Ländern wie Argentinien und Uruguay, vom Südafrika Nelson Mandelas bis hin zu einzelnen Bundesstaaten in den USA! Folgen wir diesem Beispiel endlich! Mit einer Öffnung der Ehe setzen wir im Übrigen auch ein Zeichen in Richtung der osteuropäischen Länder und Russlands. Das wäre ein viel machtvolleres und unübersehbareres Zeichen, als einfach nicht zu den Olympischen Winterspielen nach Sotschi zu fahren.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich weiß, wovon ich rede. Ich bin in Warschau bei CSDParaden und -Demos mit Steinen und Feuerwerkskörpern beworfen worden. Ich habe es am eigenen Leib erlebt, was es bedeutet, als Lesben und Schwule Angst haben zu müssen vor einem öffentlichen Klima, das gegen einen gerichtet ist. Wir werden nur dann wirkungsvoll etwas dagegen tun können, wenn wir als Land selbst mit gutem Beispiel vorangehen und damit deutlich machen: Der Weg in ein gemeinsames Europa führt nur über die Gleichstellung aller Menschen und über die Unantastbarkeit der Würde aller. Ich fordere Sie deswegen auf: Setzen Sie mit uns gemeinsam dieses Zeichen!

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage abschließend: Denken Sie nach diesem Redebeitrag nicht schlecht von mir, nur weil ich in meiner ersten Rede gleich Tacheles geredet habe. Manchmal muss man auch gegen die Tischmanieren verstoßen.
(Burkhard Lischka [SPD]: Das war doch harmlos!)

Ich wünsche Ihnen allen trotzdem frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr. Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

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