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Thomas Wegener: Die Leiden der Judith B.

Thomas Wegener über das vermeintliche Reich - Ranitzkiy - Syndrom

Butler_CSD-Bhne_190610(Gaybrandenburg - Tabulose Rundschau) Freitag-Abend, 21:30 Uhr: Judith Butler spricht in der Berliner Volksbühne. Der große Saal der Volksbühne ist ausverkauft bis auf den letzten Platz im Rang. Im Foyer ist deshalb eine Leinwand aufgebaut, Butlers Vortrag wird live übertragen. Auch das Foyer ist voll. Am Ende werden es um die 900 Leute gewesen sein, die ihren Vortrag gehört haben. „Queere Bündnisse und die Antikriegspolitik“ überschrieb sie diesen Vortrag. Im Kern beschwor sie dabei die Einheit von queeren Menschen aller Couleur gegen Angriffe auf Homos oder Trans* durch staatliche wie halbstaatliche oder gesellschaftliche Institutionen.

 

Insbesondere betonte sie die Schutzbedürftigkeit jener, die sowohl Trans* sind, als auch einen Migrationshintergrund haben, also potentielle Opfer von doppelter Diskriminierung sind.Die Volksbühne lauschte ihr andächtig, nahm ihre warmherzige Art offen auf, lachte freundlich, wenn sie auf schüchterne Art nachfragte, ob man ihr Deutsch denn verstünde. Den Vortrag trug sie vom Blatt vor und benutze ein sehr akademisches Deutsch. Kein Problem für eine Frau, die in den 70er Jahren Hegel auf Deutsch und an der Universität Frankfurt/Main studiert hatte. In der anschließenden Publikumsdiskussion in Englisch kleidete sie ihre Kernthese noch einmal in eine einfache, aber eindeutige Frage: „Bist du gegen Homophobie?“ 
Samstag, 18:45 Uhr: Judith Butler spricht auf der Bühne des CSD-Finales vor dem Brandenburger Tor. Vor der Bühne eine schier unüberschaubare Masse an Menschen. Die Polizei zählte insgesamt etwa 600.000 Teilnehmer am CSD 2010. Es war der größte CSD, den Berlin bis dahin gesehen hatte. Judith Butler, die amerikanische Literaturprofessorin, Philosophin und Ikone der Queer-Theory, sollte für ihre unbestreitbaren Verdienste um die intellektuelle Untermauerung queerer, nicht-heterosexueller Lebensweisen den Zivilcouragepreis des Berliner CSD erhalten, genauso, wie der deutsche Sexualwissenschaftler Martin Dannecker. Dessen Verdienste um die Schwulenbewegung der Bundesrepublik sind ebenso unbestritten, mehr noch: Dannecker gilt bis heute als intellektueller Vater der Schwulenbewegung in der alten Bundesrepublik.

Dannecker erhielt seinen Preis vor Butler und nachdem Gregor Gysi die Laudatio für Dannecker prominent und fundiert vorgetragen hatte. Butlers Laudatorin Renate Künast zählte pflichtschuldig die Verdienste der Preisträgerin auf, wirkte aber alles in allem etwas farblos und nicht genügend mit dem Stoff vertraut. Überraschend für eine Politikerin, deren Partei sich immer noch als federführend in Sachen Frauenrechte ansieht. Aber diese Frauenrechte betrachtete die Feministin Judith Butler ja auch schon immer zwiespältig, empfand sie als zu sehr auf die pure Umverteilung materieller Güter von Mann nach Frau fixiert. Judith Butler betrat die Bühne in derselben etwas gebückten Haltung, mit der die überraschend kleine und für Mitte Fünfzig erstaunlich gebrechlich anmutende Frau, schon seit ihrer Ankunft am Donnerstag derselben Woche durch Berlin lief. Sie nahm den Preis von Renate Künast nicht an, Stattdessen hielt sie eine kurze Rede, mit der sie die Ablehnung des Preises zu begründen versuchte: Die Veranstaltung ssei ihr zu kommerziell ausgerichtet und oberflächlich. Bis hierhin folgte sie dem Kritik-Mainstream, der sich seit Jahren unaufhörlich über den Berliner wie auch über die vielen anderen großen CSDs ergießt und der längst zum Allgemeinplatz verkommen ist. Ein Kritikpunkt, den jeder bedient, wenn ihm nichts Besseres mehr einfällt.

Hellhörig durften die Veranstalter und das Publikum werden, als Butler sie faktisch der Mittäterschaft an den größten irdischen Übeln von Kriegstreiberei bis Antisemitismus beschuldigte. Dem nicht genug, spielte sie die Veranstalter des Schöneberger CSDs gegen die des Kreuzberger CSDs aus und lobte deren angebliche klare Bekenntnisse für Frieden, gegen Rassismus und die anderen von ihr zuvor postulierten Übel. Als Butler die Bühne verließ war es etwa 19 Uhr. 22 Stunden zuvor hatte sie noch das hohe Lied der queeren Bündnisse gegen Homophobie gesungen. In den Blogs und Kommentaren wurden die CSD-Veranstalter anschließend mit Häme übergossen. Zu Recht sei ihnen das geschehen, richtig läge Judith Butler mit ihrer Kritik. So sehen also queere Bündnisse im Sinne Butlers aus.

Kernpunkt ihrer Kritik war die angebliche Ignoranz des großen CSDs für die Probleme der doppelten Diskriminierung von Migranten, die homosexuell oder transsexuell empfinden. In ihrem Redemanuskript fand sie dann auch noch den Verweis auf andere, mit dem CSD angeblich assoziierte Organisationen, die im Kontext gewalttätiger Übergriffe auf Homos Migrantenfeindlichkeit schüren würden.

Sprachs und verließ die Bühne. Backstage trat sie dann nach und entblößte sich dabei selbst. In einem Kurzinterview, das sie der schwulen Musikwelle „BlnFM“ gab, bezichtigte sie die Veranstalter, welche sie „nicht richtig verstanden hat“ und die sie eine Gruppe „überwiegend schwuler Männer“ nennt, offen des Rassismus: „Sie haben sehr derbe rassistische Dinge gesagt.“ Im gleichen Interview legte sie dann noch offen, dass sie mit allen gesprochen hatte, außer dem Berliner CSD e.V. Ihre Aufzählung klang dabei wie ein Who-Is-Who der vermeintlichen queeren Meinungsführer. Jene Eliten, die sich seit Jahren stur weigern, an den Plenen zur Findung von Motto und Forderungen des Berliner CSD teilzunehmen.

Dass sie es mit den queeren Bündnissen gegen Homophobie dann doch nicht so ernst meint bzw. in bigotter Manier lieber Rosinen pickt, war in diesem Moment nicht mehr wegzudiskutieren. Ebenfalls unstrittig ist, spätestens seit dem Interview, dass sie sich leichtgläubig und naiv, vielleicht sogar vorurteilsbeladen vor den Karren derer hat spannen lassen, die die Hoheit über die Homo-Köpfe für sich beanspruchen.

Jene Gralshüter des wahren queeren Lebens soufflierten ihr die eigenen Vorurteile ins Ohr: Der CSD e.V. als Vasall von LSVD und von MANEO, MANEO und der LSVD als Hass-Prediger gegen Migranten. Entlarvend: Der Berliner CSD e.V. ist von diesen Institutionen völlig unabhängig. Es bestehen keinerlei personelle, intellektuelle oder finanzielle Verknüpfungen, ein beinahe unbedeutendes Detail, über das Judith Butlers Bündnispartner naturgemäß hinweggesehen haben. Dass die Vorwürfe gegen den LSVD und MANEO genauso unhaltbar sind, verschwieg man Frau Butler wohl vorsichtshalber auch noch.
Nichts, so hat es den Anschein, sollte die heile, mit schwarzen und weißen Farben gezeichnete Welt stören, in der man den Pop-Star der Philosophie bettete und in welcher sich dieser Star offensichtlich genauso umstandslos hat betten lassen - wie im Hotel Adlon.

Rückblickend kann man zwei Gewinner und zwei Verlierer in dieser Posse ausmachen: Verloren hat Judith Butler, die als Person wie als Philosophin diskreditiert, ja geradezu demontiert ist: Ihr kritisches Denken kommt offensichtlich über die eigenen Vorurteile nicht mehr hinaus. Sie hat es sich scheinbar bequem gemacht in ihrer Nische, aus der heraus sie ihre Fans aber problemlos bedienen kann – ohne mit dem Rest der Welt sonderlich in Berührung zu kommen. Verloren hat die Community der Region, die durch diesen einseitigen Affront noch tiefer gespalten wurde, als sie es sowieso schon ist. Die Flurschäden dessen sind noch gar nicht absehbar und der subkulturelle bzw. tendenz-linke Teil der Community steht dem zur gesellschaftlichen Mitte neigenden Teil der Gemeinschaft jetzt quasi unversöhnlich gegenüber, fühlt sich überlegen und feiert einen Sieg, der keiner ist.

Wirklich gewonnen hat der Berliner CSD: Eine enorme Öffentlichkeitswelle ist losgetreten worden, die die übliche Aneinanderreihung von Journalisten-Euphemismen ala „schrill“, „bunt“ oder „farbenfroh“ fast komplett weggewischt hat. Die politischen und gesellschaftlichen Aspekte der Parade stehen jetzt im Fokus der Öffentlichkeit und bei den Diskussionen inner- und außerhalb der nicht-heterosexuellen Welt: Warum hat IKEA einen Wagen auf der Parade? Antwort: Weil ihn die Diversity-Gruppe der Berliner IKEA-Möbelhäuser angemeldet hat, nachdem sie jahrelang für eine Beteiligung ihres ach so toleranten Arbeitgebers am CSD kämpfen musste. Wozu fährt die Homo-Gruppe der CDU mit? Antwort: Weil sie als Türöffner und Botschafter für Homo- und Trans*-Themen in die Partei hinein fungiert und weil der große CSD auch für jene Teile der Community da ist, deren politische und gesellschaftliche Ansichten eher im konservativen Spektrum zu finden sind. Warum lässt sich der CSD von großen Firmen sponsern? Antwort: Weil er keinen Cent öffentliche Fördermittel bekommt und eine Veranstaltung dieser Größe enorme Kosten verursacht. Und weshalb müssen es ausgerechnet Brauereien, Energy-Drink- und Pharmahersteller sein? Antwort: Weil sich der überwiegende Teil der Wirtschaft immer noch weigert, im Homo-Bereich auch nur einen Cent zu investieren: Straight sells!

Judith Butlers letzter und vermutlich einziger echter Verdienst in diesem Zusammenhang ist, dass der Zivilcouragepreis durch ihre Ablehnung der Trophäe an weltweit spürbarer Symbolkraft gewonnen hat. In diesem Punkt
unterscheidet sie sich dann vom vielfach herbeizitierten Fall "Reich-Ranicki vs. Deutscher Fernsehpreis", denn der Deutsche Fernsehpreis war schon vor Ranickis Chuzpe ein wertloses Stück Metall, dessen Reputation irreparabel verloren ist - freilich war sich der Mann dessen bewusst. Die Geschichte des
CSD-Zivilcouragepreises ist aber noch jung und die bisher Ausgezeichneten, unter ihnen die Berliner Lesbenberatung, sind durch die Bank würdige Preisträger. Es sieht so aus, als ob Judith Butler das genauso gesehen und die Annahme im Interesse des Preises verweigert hat.

Kommentar: Thomas Wegner
Foto: Burghard Mannhöfer - www.queer-kopf.de

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